KI und die fünf ewigen Ängste der Menschheit
Fünf Ängste ziehen sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte - und die aktuelle Entwicklung der künstlichen Intelligenz schafft es, alle gleichzeitig zu mobilisieren.
1. “Technology will kill us all”
Jede neue Technologie war bereits kurz davor, uns alle umzubringen: Von der Schrift (“Schreiben zerstört die Kunst der Rede und die Gedächtniskunst”) über den Buchdruck (“Bücher machen verrückt”) oder das Hochgeschwindigkeits-Reisen mit 30km/h (“Eisenbahnfahren lässt unsere Lungen platzen”). Neue Technologien gefährden immer gleich alles und jeden.
2. “The Kids are not alright”
Über die “verkommene Jugend von heute” gibt es auch Beschwerden vom römischen Reich über die Renaissance bis zu den 1960er Jahren (ebenso in die andere Richtung, aber mit weniger gesellschaftlicher Macht dahinter, ok boomer!). Schon Aristoteles klagte über das Streben nach Luxus und die schlechten Manieren der Jugend von damals.
3. “Kultureller Wandel zerstört unsere Moral”
Auch das Ende unserer grundlegenden Werteinfrastruktur durch Philosophie, Lyrik oder Comics gibt es seit Cato und co. Jazz verdirbt die Jugend, Rock’n’ Roll ist verwerflich, Techno ist keine Musik, Smartphones machen dumm etc.
4. “Fremde Einflüsse sind schädlich”
Besonders gefährlich ist dieser kultureller Wandel, wenn er dazu noch von außen kommt. Von den Barbaren ist noch nie etwas Gutes gekommen, schimpften die antiken Griechen. Die deutschen Einwanderer in die USA waren wie die “Gastarbeiter” in Deutschland.
5. “Wirtschaftswandel führt direkt ins Chaos”
Das wussten schon die Maschinenstürmer, die damals automatisierte Webstühle zerstörten, und Charlie Chaplin als Fließbandarbeiter in “Modern Times”. Und die Globalisierung hat uns sowieso alle arbeitslos gemacht.
KI als Angst-Supernova
Was jetzt spannend ist: Die aktuelle KI-Debatte hat sich in allen fünf Angsterzählungen verfangen:
Die KI-Apokalypse
Diese neue Technologie wird die Menschheit zerstören. Es ist nur die Frage, wann und wie wahrscheinlich das Ereignis ist (ausgedrückt als p(doom)). So warnte Elon Musk (als er bereits an seiner eigenen Grok-KI arbeitete), dass künstliche Intelligenz unsere größte existentielle Bedrohung sei.

We’re doomed!
Das Ende der Bildung
Die Jugend von heute macht ihre Hausaufgaben mit ChatGPT (Homeworkalypse) und verdummt dabei maßlos. Eine MIT-Studie zeigt sogar, dass LLMs die Vernetzung unserer Gehirne verändern (wobei oft nicht dazugesagt wird, dass die wichtigste Erkenntnis der Studie ist, dass man sich nicht so gut an das erinnert, was ein LLM für einen geschrieben hat als an das, was man sich selbst ausgedacht hat, nun ja).
KI bringt kulturellen Verfall
Es wird keine Künstler, Musiker, Schriftsteller mehr geben, nur noch automatisch erzeugtes Mittelmaß von LLMs aus riesigen Wahrscheinlichkeitsteppichen errechnet. Die menschliche Kreativität ist damit am Ende. Künstler werden abgelöst von Prompt-Engineers, die ihre Midjourney-Gemälde verkaufen, ihre Veo-Blockbuster streamen und Claude-Krimis auf Amazon hochladen.
Das KI-Wettrennen
Auch dieses Muster wird gerade in Deutschland unter dem Schlagwort “digitale Souveränität” besonders intensiv bedient. Die großen Frontier-LLMs kommen aus den USA oder China. Aber auch die Hardware und sogar der Trainingskorpus spricht in der Regel kein Deutsch. Okay, es gibt als Ausnahme Mistral AI aus Frankreich und ein paar libertäre Nerds, die ihre LLMs auf dem eigenen Rechner laufen lassen. Aber immerhin haben wir eine KI-Strategie (aus dem Jahr 2018!), die 2020 überarbeitet wurde. Also zwei Jahre vor ChatGPT.
Die Jobcalypse
Natürlich wird die KI alle unsere Jobs vernichten (wie alle großen ökonomisch-industriellen Innovationen zuvor). Angefangen mit den Softwareentwicklern und Data Scientists über die Rechtsanwälte und Ärzte bis hin zu humanoiden Robotern, die dann den Rest für die KI erledigen. Kevin Roose analysiert in der New York Times, wie KI gerade Berufseinsteigern das Leben schwer machen wird.
Die andere Seite: Auch Hype-Ignoranz hat Tradition
Zur Beruhigung: Auch der Verweis darauf, dass die Veränderungen nur ein kurzfristiger Hype seien, zieht sich durch 3000 Jahre Menschheitsgeschichte: “The cinema is little more than a fad”, “The horse is here to stay”, “There is no reason for any individual to have a computer at home” oder “Bitcoin is a fad”. Zu jeder Veränderung gibt es jemanden, der laut “Hype!” ruft.
Was tun? Gelassenheit und Neugierde statt Panik
Vorläufiges Fazit: Wir wissen nicht, was gerade passiert. Genau wie Sokrates, Tacitus, Da Vinci oder Charlie Chaplin vor uns, als sie mitten im Wandel standen. Daher: mehr Gelassenheit in der Debatte und zugleich mehr Neugierde, Experimentierfreude, aber auch Rigorosität und genaue Beobachtungsgabe! Weniger: “Die Welt geht unter” und mehr “Lass uns das mal ausprobieren und genau hinschauen.”