Bugfix für das Weltwissen
Wer erinnert sich noch an die Zeit, in der man als Universalgelehrter alles über jedes Wissensgebiet wusste? Vermutlich die wenigsten, da die Wissensexplosion der Aufklärung im 17./18. Jahrhundert in Verbindung mit der enormen Vermehrung des gedruckten Wissens in den neu erfundenen Spezialdisziplinen wie Chemie, Physik und Biologie diese Ära beendet hatte, in der “Allwissende” wie Aristoteles, Da Vinci und Leibniz noch den Überblick behalten konnten.
Vorher war es prinzipiell möglich, in allen Wissensgebieten - Natur, Geist und Technik - alles zu wissen, was man damals wissen konnte. Der Buchdruck bewahrte das Wissen vor dem Vergessen (zuvor bedeutete der Brand einer Bibliothek regelmäßig den Verlust eines Teils des Menschheitswissens), schuf aber gleichzeitig das neue Problem der Informationsflut.
Eine ganze Zeit konnte man danach immerhin noch alles wissen, was man über eine Disziplin wissen musste - aus dem Universalgelehrten wurde der Fachgelehrte. Aber relativ schnell - spätestens seit 1900 - war nicht einmal das möglich. Es wurden schlicht mehr Bücher und Artikel veröffentlicht, als eine Person lesen konnte. Und spätestens seit dem Internet wird jedem an seinem heimischen Rechner klar, wie unglaublich viel man da draußen alles wissen könnte.
Das mit der Wissensexplosion hat die Menschheit super hinbekommen - das ist eine glatte 10 von 10 - aber sie hat es nicht geschafft, parallel dazu ein Werkzeug zu entwickeln, mit dem man dieses Wissen auch abrufen könnte. Google hatte die Mission, alles Wissen der Menschheit per Suchformular erreichbar zu machen, aber viel Wissen blieb nach wie vor nur in gedruckter Form erreichbar. Außerdem musste man ja schon wissen, wonach man sucht, um eine sinnvolle Suchanfrage einzutippen.
Genau dieser Missing Link zwischen dem Menschheitswissen und einer Zivilisation, in der jeder jederzeit auf dieses Wissen zugreifen kann, entsteht gerade in Gestalt von KI-Chatbots und den großen Sprachmodellen, die dahinter liegen. Mit Claude, Gemini und ChatGPT hat jeder einen hochintelligenten Universalgelehrten als virtuellen Freund, der zu jeder Tages- und Nachtzeit sein Wissen zu jedem beliebigen Wissensgebiet teilt.
Damit können Eltern ihren Kindern Quantenphysik erklären, jeder kann ohne Jurastudium seinen Mietvertrag verstehen und die Therapieoptionen des Hausarztes einordnen und bewerten. Jeder weiß alles.
LLMs sind aus dieser Perspektive nicht so sehr eine revolutionäre Neuheit, sondern liefern nur eine Technologie nach, die wir eigentlich schon seit 400 Jahren hätten gebrauchen können. KI ist also überhaupt kein Hype, sondern nur ein lange überfälliger Bugfix für das Weltwissen.